Aus unserer Reihe: Ki-Ju - Psychologie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter

Michels, Hans-Peter / Borg-Laufs, Michael (Hrsg.)

Schwierige Zeiten

Beiträge zur Psychotherapie mit Jugendlichen

2003 , 272 Seiten

ISBN 978-3-87159-901-9

19.80 Euro

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Gleicht die Psychotherapie mit Jugendlichen der Behandlung Erwachsener oder ist sie analog zur Kinderpsychotherapie zu sehen? Dieses Buch zeigt auf, welche Besonderheiten bei der Therapie mit Jugendlichen insbesondere beim Motivationsaufbau sowie bei der entwicklungspsychologisch notwendigen Adaptation bewährter Therapiemethoden zu beachten sind. Praxiserfahrene Autorinnen und Autoren beschreiben grundlegende Konzepte der Arbeit mit Jugendlichen, schildern in anschaulicher Weise die Vorgehensweisen bei verschiedenen Störungsbildern und Problembereichen und stellen ihre Arbeit anhand von ausführlichen Fallbeispielen dar.


Inhalt:

Einführung
The times they are a-changin ...Theorie und Praxis der Jugendtherapie im Wandel
Hans-Peter Michels & Michael Borg-Laufs

Teil I: Theorie
Plädoyer für eine eigenständige Jugendlichentherapie
Stefan Schmidtchen

Selbstmanagementtherapie mit Jugendlichen
Michael Borg-Laufs

Teil II: Therapie

Depression im Jugendalter – Diagnostik und Behandlung
Hans-Peter Michels

Sozialphobie im Jugendalter – Diagnostik und Behandlung
Hans-Peter Michels

Psychotherapeutische Prinzipien und Vorgehensweisen in der Behandlung juveniler Psychosekranker
Norbert Kienzle

Gruppenarbeit und -therapie mit Mädchen in psychosozialen Problemlagen
Diana Will

Teil III: Fallberichte

„Ich habe den Eindruck, alle Regeln sind außer Kraft gesetzt.“ Der Fall Anna
Veronika Mähler-Dienstuhl

Ambulante Verhaltenstherapie bei einem 16 1/2-jährigen Jugendlichen mit Cannabis- und Alkoholmissbrauch sowie pathologischem Glücksspiel. Ein Fallbericht.
Rudi Merod

„Wenn ihr mich zwingt, Hausaufgaben zu machen, bringe ich mich um!“ Ein Fallbericht.
Holger Wyrwa

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1 Jugendforschung im Wandel der Zeit

Bei vielen Erwachsenen gilt Jugend als „schöne Zeit“, als Zeit des Aufbruchs, der starken Gefühle, des (sorgenlosen) Experimentierens – vor allem in den verklärenden Erinnerungen. So eindeutig positiv erschien und erscheint die Jugend im Alltagsverständnis allerdings nicht: Mal wurde Jugend als rebellisch, gefährlich oder problematisch angesehen, mal neutral oder positiv, und heute gelten Jugendliche vielfach eher als anspruchsvoll, launenhaft und unzuverlässig. Ihnen sollte man Grenzen aufzeigen und mit strengen Erziehungsmaßnahmen begegnen. Auf der anderen Seite möchten Erwachsene möglichst jugendlich aussehen, aber selbst Jugendlicher sein – wohl kaum, in den schwierigen Zeiten.

In der Jugendforschung kann eine differenziertere Entwicklung der Standpunkte und Konstruktionen von „Jugend“ registriert werden. Von Beginn an begreift man „Jugend“ keinesfalls als idyllisches oder romantisches Stadium. Heute noch gilt sie als Zeit des Übergangs, als Durchgangsphase, getrennt von Kindheit und Erwachsenenalter. Charakteristisch sind die vielfältigen biologischen, psychischen und sozialen Veränderungen, die Probleme bereiten können und die sonst selten so kumuliert im Leben eines Menschen auftreten (Lerner & Galambos, 1998).
„Hieraus ergeben sich außerordentlich hohe Anforderungen an die biographische Selbstgestaltung der Lebensphase Jugend“ – so die Einschätzung von Hurrelmann (2002, S. 27). Dennoch – darauf hat die moderne psychologische Jugendforschung aufmerksam gemacht – bewältigen die meisten Jugendlichen diese Aufgaben mit Erfolg.

2 Jugendlichentherapie als eigenständiges Fachgebiet?

Im Psychotherapeutengesetz werden (abgesehen von den entsprechenden Fachärzten und Ärzten mit Zusatztitel) zwei Berufsgruppen unterschieden, die Jugendliche psychotherapeutisch behandeln können: die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP), die Patienten bis zum Alter von 21 Jahren (in Ausnahmefällen auch länger) psychotherapeutisch behandeln dürfen, und Psychologische Psychotherapeutinnen (PP), die laut Gesetz Patienten aller Altersgruppen behandeln dürfen.
Die ambulante kassenpsychotherapeutische Versorgungslage stellt sich allerdings anders dar. In diesem Rahmen dürfen PPn Kinder und Jugendliche von 0 bis 18 Jahren nur dann behandeln, wenn Sie nachweisen, dass sie 200 Stunden theoretische Unterweisung in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen erhalten haben und zusätzlich noch mehrere unter enger Supervision durchgeführte Behandlungen von Kindern und/oder Jugendlichen durchgeführt haben. KJPn benötigen zwar für ihre Arbeit auch spezifische Kenntnisse der Diagnostik und Behandlung Erwachsener, etwa um behandlungsbedürftige Störungen von Eltern erkennen zu können und um den oftmals schwierigen Prozess der Veränderung des elterlichen Erziehungsverhaltens gestalten zu können, nach der augenblicklichen Gesetzeslage gibt es aber für sie umgekehrt nicht die Möglichkeit, durch entsprechende Zusatzqualifikationen auch die Berechtigung zur Behandlung Erwachsener zu erhalten. Lediglich KJPn, die im Erstberuf Diplom-Psychologen sind, können einen Teil (etwa ein Drittel) ihrer KJP-Ausbildung anrechnen, wenn sie eine weitere Ausbildung als PP anschließen möchten. KJPn mit anderem Grundberuf (etwa Diplom-Sozialpädagogen, -Pädagogen oder -Heilpädagogen) haben diese Möglichkeit nicht. Begründet wird dies damit, dass das Studium der Psychologie (oder der Medizin) eine unverzichtbare Grundlage für die Behandlung Erwachsener darstellt.
Das Psychologiestudium ist auch zweifellos eine gute Grundlage für den psychotherapeutischen Beruf, werden dort doch einerseits Kenntnisse über menschliches Erleben und Verhalten in den normalen Erlebens- und Verhaltensvariationen gelehrt (Motivationspsychologie, Lernpsychologie, Kognitionspsychologie, Kommunikationspsychologie, Entwicklungspsychologie), andererseits im Hauptstudium bei entsprechendem Studienschwerpunkt auch bereits die Grundlagen klinisch-psychologischer Diagnostik und Intervention vermittelt. Gleichwohl erscheint die strikte einseitige Trennung der Berufsgruppen nicht stimmig, wenn man etwa bedenkt, dass der Gegenstandskatalog für die Psychotherapeutenprüfungen, der vom Mannheimer Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) im Juni 2002 vorgelegt wurde, bei den Prüfungsfragen nicht grundsätzlich zwischen PP und KJP unterscheidet, d. h. beide Berufsgruppen müssen sich auf die gleichen Prüfungsfragen vorbereiten, obwohl die erfolgreich absolvierte Prüfung zu zwei unterschiedlichen Approbationen führt, bei der die eine umfassend (für alle Altersgruppen), die andere aber nur eingeschränkt gültig ist. Hier gibt es offensichtlich – ebenso wie bei einigen anderen Punkten, etwa der Unmöglichkeit, Inhalte aus dem Erststudium (Psychologie, Pädagogik, Heilpädagogik, u.a.) auf die Zweitausbildung anrechnen zu können – noch inhaltliche Unstimmigkeiten in der Ausbildung und im Berufsbild von Psychotherapeuten, die auf den ersten Blick kaum nachvollziehbar erscheinen.
Es besteht nach einschlägigen Untersuchungen eine erhebliche Unterversorgung im Bereich der Psychotherapie, wobei gerade die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in besonders drastischer Weise unzureichend ist (Löcherbach et al., 1999; Wittchen, o.J.). Aus diesem Grunde erhalten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen zur Zeit häufig die Möglichkeit, eine Sonderbedarfszulassung zu erhalten. Allerdings wird diese in vielen Fällen nur eingeschränkt erteilt, etwa für die Behandlung von Kindern von 0 bis 14 Jahren, da – so die Argumentation der Zulassungsausschüsse – die Jugendlichen von den Psychologischen Psychotherapeutinnen mit Zusatzqualifikation versorgt würden, von denen es genügend gäbe. Die Behandlung von Jugendlichen wird KJPn, die auf diesem Wege zu ihrer Zulassung gelangen, somit weitgehend unmöglich gemacht oder zumindest erheblich erschwert.
Es kann sich die fachliche Frage stellen, ob die Behandlung von Jugendlichen nun eher im Rahmen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie oder doch im Rahmen der Psychologischen Psychotherapie (Erwachsener) positioniert werden sollte, oder muss hier gar ein eigenes Berufsbild entstehen? Welche Ausbildung – diese Frage würde sich anschließen – qualifiziert mehr für die Behandlung gerade von Jugendlichen mit ihren speziellen Problemen?
Die Behandlung Jugendlicher – das hoffen wir auch mit dem vorliegenden Sammelband deutlich machen zu können – erfordert in Abgrenzung zur Behandlung sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen spezifische Kompetenzen. Dies kann aus unserer Sicht aber nicht dazu führen, dass hier etwa ein neuer Berufsstand entstehen soll. Psychotherapiehistorisch ist festzuhalten, dass die Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus tiefenpsychologischer und personenzentrierter Perspektive schon lange konzeptionell getrennt wird und jede der drei Altersgruppen eigene Behandlungsmethoden erfordert. In der Verhaltenstherapie, deren Wurzeln in der Behandlung von Kindern liegen (vgl. Borg-Laufs, 2001), wurde diese Trennung erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts vollzogen. Bis heute wird in manchen Lehrbüchern nicht grundsätzlich zwischen der Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unterschieden. Das Aufkommen spezifischer Therapiemanuale für Kinder und/oder Jugendliche sowie die stärkere Berücksichtigung der Beziehungskomponente der Therapie und der Einbezug entwicklungspsychologischer (besonders entwicklungspsychopathologischer) Erkenntnisse (vgl. Borg-Laufs & Trautner, 1999) sowie letztlich die neu geschaffenen gesetzlichen Grundlagen haben diese Trennung auch in der Verhaltenstherapie eingeleitet. In der systemischen Therapie wird eine eigenständige Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie gerade auf den Weg gebracht (vgl. Rotthaus, 2001).
Vor diesem Hintergrund der teilweise gerade erst vollzogenen Trennung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie einerseits und Erwachsenentherapie andererseits erscheint es fraglich, ob eine weitere Diversifizierung wirklich erforderlich ist. Die besondere Lebenslage von Jugendlichen, etwa dass sie in der Regel bei ihren Familien leben und ihr Leben in der Gesellschaft noch nicht autonom führen können, legt nahe, die Behandlung von Jugendlichen auch weiterhin in den Gesamtrahmen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie zu stellen. Ebenso wie die Behandlung von Kindern im Kleinstkindalter sich von der Behandlung etwa von Kindern im Grundschulalter erheblich unterscheidet, so sind eben auch wiederum Veränderungen hinsichtlich der Behandlung Jugendlicher zu konstatieren. KJPn werden in der Lage sein, sich auch mit diesem Entwicklungsabschnitt angemessen auseinandersetzen zu können. Vom gesellschaftlichen Status, der kognitiven und emotionalen Entwicklung, der sozialen Eingebundenheit nehmen Jugendliche eine Zwischenposition zwischen Kindheit und Erwachsenenalter ein. Je nach individuellem Fall wird der Ausschlag stärker in die eine oder andere Richtung gehen und die Behandlung größere Ähnlichkeit mit der Behandlung von Kindern einerseits oder Erwachsenen andererseits aufweisen. Beide angesprochenen Berufsgruppen sind also auf die Behandlung Jugendlicher vorbereitet, die KJPn sicherlich durch die spezifische Ausbildung womöglich etwas mehr als PPn, aber diese müssen ja, um im Rahmen der Kassenpsychotherapie Jugendliche zu behandeln, ebenfalls die notwendigen Kompetenzen über eine entsprechende Zusatzqualifikation nachweisen.
So sehr wir also der Ansicht sind, dass die Besonderheiten des Jugendalters in der Therapie berücksichtigt werden müssen, so sind wir dennoch nicht der Meinung, dass dies in einem eigenen Berufsbild oder auch einer eigenen Zusatzqualifikation seinen Niederschlag finden sollte. Wir gehen davon aus, dass die Psychotherapeutinnen in der Lage sind, aufbauend auf ihrer hohen Qualifikation die spezifischen Kompetenzen für die Behandlung Jugendlicher zu erwerben.

3 Die Beiträge dieses Bandes
Das vorliegende Buch gliedert sich in drei Teile (Theorie, Therapie, Fallberichte), mit denen wir hoffen, einen abwechslungsreichen und fundierten Überblick über das Thema bieten zu können.

Teil I: Theorie
In einem ersten grundlegenden Beitrag „Plädoyer für eine eigenständige Jugendlichentherapie“ entwirft Stefan Schmidtchen die Leitlinien für das Projekt einer solchen Therapie. Es muss unbedingt auf eine altersgerechte Modifikation der Therapiemaßnahmen geachtet werden. Die Förderung der biopsychosozialen Ressourcen sieht er als wichtigen inhaltlichen Schwerpunkt in der Therapie, auch um Jugendliche bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben zu unterstützen. Der Therapeut sollte die Beziehung zum jungen Klienten personenzentriert gestalten. Es sollte ein Schwerpunkt auf die Autonomie- und Motivationsförderung gelegt werden. Schmidtchen spricht sich für die Einbettung der Jugendlichenpsychotherapie in einem Multisystem aus. Dringende Forschungsaufgaben sollten sein: Die Spezifika der biopsychosozialen Entwicklung von Jugendlichen sowie die besondere Ausprägung und den Verlauf psychischer Störungen zu erfassen. Weiterhin müssen die Therapiemethoden hinsichtlich ihrer Eignung für Jugendliche evaluiert werden. Im Kapitel „Selbstmanagementtherapie mit Jugendlichen“ geht Michael Borg-Laufs auf die Ausgestaltung der Jugendlichenpsychotherapie ein. Jugendliche sind – legt man Piagets Theorie und Ergebnisse der modernen Entwicklungspsychologie zugrunde – ähnlich wie Erwachsene fähig reflexiv, hypothetisch und abstrakt zu denken. Bei Problemen diskutieren sie mit Gleichaltrigen oder mit Erwachsenen. Häufig spielen sie verschiedene Lösungsmöglichkeiten kognitiv durch. Dieser Sachverhalt zeigt, dass eine Psychotherapie mit Jugendlichen wesentlich nach dem Selbstmanagementansatz durchgeführt werden kann. Bezogen auf Jugendliche und zum Teil auch deren Eltern werden die Phasen der Selbstmanagementtherapie beschrieben: die Herstellung eines Arbeitsbündnisses, der Motivationsaufbau, die Verhaltensanalyse, die Zielklärung sowie die Intervention.

Teil II: Therapie
Zunächst werden in zwei Beiträgen von Hans-Peter Michels die Diagnostik und Behandlung von internalisierenden Formen psychischer Störungen – hier speziell Depression (Kapitel 4) und Sozialphobie (Kapitel 5) – dargestellt. Diese Formen werden gegenüber externalisierendem Problemverhalten (z. B. aggressives Verhalten, delinquentes Verhalten oder Substanzabusus) oft vernachlässigt. Möglicherweise liegt das daran, dass diese psychischen Störungen weniger auffallen als externalisiertes Verhalten, beziehungsweise dass sie weniger Störungen im Alltag der Personen ihrer näheren und weiteren Lebenswelt hervorrufen. Gleichwohl sind die Folgen ebenfalls gravierend. Michels berichtet über den aktuellen Stand zu diagnostischen und therapeutischen Vorgehensweisen bei Depression sowie Sozialphobie im Jugendalter. Die Darstellung erfolgt störungsspezifisch, wobei die Zahlen zu Komorbiditätsdiagnosen, die er referiert, erkennen lassen, dass auch in der Psychotherapie mit Jugendlichen die Zukunft eher in einer störungsübergreifenden Ausrichtung liegt.
Norbert Kienzle erörtert in Kapitel 6 „Psychotherapeutische Prinzipien und Vorgehensweisen in der Behandlung juveniler Psychosekranker“ die Arbeit im stationären Setting. Die Therapie von schizophrenen Störungen erfolgt hier interdisziplinär: pharmakotherapeutisch wie auch psychotherapeutisch. Der Autor schildert die Grundsätze stationärer Therapie, insbesondere die Gestaltung von Anforderungen für die Patienten, die im stationären Rahmen individuell an den jeweiligen Patienten angepasst werden. Auch die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, etwa zur Beeinflussung kognitiver Prozesse, zum Training von Kommunikationsfertigkeiten oder zum Umgang mit halluzinatorischen Erlebnisweisen, werden individualisiert durchgeführt. Neben der Therapie mit den betroffenen Jugendlichen ist die Elternarbeit integrativer Bestandteil der Behandlung.
Im Kapitel 7 „Gruppenarbeit und -therapie mit Mädchen in psychosozialen Problemlagen“ berichtet Diana Will über eine geschlechtsspezifische Konzeption. Mädchen, vor allem sozial benachteiligte, haben spezifische Probleme. Bei den meisten von ihnen könnten Mehrfachdiagnosen gestellt werden. Daher entwirft die Autorin eine störungsübergreifende Perspektive für ihre Arbeit. Indem sie einen offenen Umgang mit Problemen und solidarische Kommunikationsformen in den Gruppen fördert, können sich die Mädchen von „fassadenhaften“ Verhaltensmustern, die oft die Probleme verstärken, lösen und positive Veränderungen erreichen.

Teil III: Fallberichte:
Die hier veröffentlichen Fallberichte zeigen, dass Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in ihrer praktischen Arbeit kreative und innovative Herangehensweisen entwickelt haben, die Grundlagen für Verallgemeinerungen bilden. In Kapitel 8 „>Ich habe den Eindruck, alle Regeln sind außer Kraft gesetzt< – Der Fall Anna“ berichtet Veronika Mähler-Dienstuhl über eine Verhaltenstherapie mit einem 13-jährigen Mädchen mit der Diagnose „Längere depressive Reaktion (F43.21; ICD-10)“. Anlass für die Aufnahme der Therapie war selbstverletzendes Verhalten der Jugendlichen. Die Therapeutin schildert sehr anschaulich die Lebenswelt der Schülerin und ihre komplexe Problematik: Dann werden die besonderen psychosozialen Bedingungen für die Entstehung und Aufrechterhaltung der psychischen Problematik vorgestellt. Aufgrund dessen entscheidet sich Mähler-Dienstuhl bei der Wahl der therapeutischen Maßnahmen für ein „multisystemisches Vorgehen“. Weiterhin interessant ist es zu erfahren, wie sie die Mutter der jugendlichen Patientin für die Mitarbeit gewinnt und wie sie das therapeutische Setting (Arbeit mit dem Mädchen allein, der Mutter allein, mit beiden zusammen) den jeweiligen Erfordernissen anpasst.
In Kapitel 9 „Ambulante Verhaltenstherapie bei einem 161/2-jährigen Jugendlichen mit Cannabis- und Alkoholmissbrauch sowie pathologischem Glücksspiel“ (ICD-10-Diagnosen: F10.1, F12.1 und F63.0) wird eine recht komplexe Fallgeschichte vorgestellt. Der Bericht von Rudi Merod bietet einen guten Einblick in die alltägliche praktische Arbeit von Kinder- und Jugendlichentherapeuten. Für den Leser gut nachvollziehbar werden die vielfältigen therapeutischen Maßnahmen (Einzel- und Gruppentherapie) aus der Verhaltensanalyse entwickelt. Trotz widriger Bedingungen (die Eltern schlagen das Angebot zur Therapieteilnahme aus) erzielt der Therapeut beachtliche Erfolge. Nicht zuletzt deshalb, weil er mit anderen Professionellen zusammenarbeitet sowie soziale Faktoren bei der Therapie berücksichtigt.
In Kapitel 10 „>Wenn ihr mich zwingt, Hausaufgaben zu machen, bringe ich mich um!< – ein Fallbericht“ berichtet Holger Wyrwa über die Therapie eines 13-jährigen Jungen mit der Diagnose „Auf den familiären Bereich beschränkte Störung des Sozialverhaltens (F91.0; ICD-10)“. Der Therapeut leistet eine stringente Analyse der Probleme des Jugendlichen. Die therapeutischen Maßnahmen sind auch hier systemisch ausgerichtet. Er versteht es immer wieder die Eltern als Coach ihres Kindes mit in die Therapie einzubeziehen. Eindrucksvoll gelingt es Wyrwa – nicht nur durch Einüben von Selbstkontrolle, sondern auch durch Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten – den Jungen zu befähigen, seine Wutausbrüche aufzugeben.

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