Aus unserer Reihe: Materialien

Behrendt, Bernd

Psychoedukative Gruppen für Angehörige schizophren oder schizoaffektiv Erkrankter

Manual für Gruppenleiter

2004 , 336 Seiten

ISBN 978-3-87159-352-9

26.80 Euro

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Mit Beiträgen von Josef Bäuml, Hans-Jürgen Luderer, Gabi Pitschel-Walz, Ursula Schneider & Helmut Sittinger und einem Geleitwort von Peter Falkai

Die Angehörigen schizophren Erkrankter sind wichtige Verbündete bei der Behandlung und Rückfallprophylaxe der Erkrankung. Im Rahmen psycho-edukativer Interventionen stellt die Arbeit mit Angehörigen einen wichtigen Baustein dar. Das Ziel der therapeutischen Gruppenarbeit mit Angehörigen schizophrener Patienten ist einerseits eine emotionale Entlastung und Unterstützung, andererseits auch eine Verbesserung des Selbsthilfepotentials und eine effizientere Rezidivprophylaxe durch Vermittlung geeigneter Informationen über die Erkrankung. Analog zu den psychoedukativen Patientengruppen (siehe Materialie 50 und 51) werden auch die Angehörigen über Entstehung, Verlauf, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten ausführlich informiert; ebenso über Warnsignale, die auf einen drohenden Rückfall hindeuten, sowie den Umgang mit Krisensituationen.

Das vorliegende Manual besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: einem Kapitel über Grundlagen, der inhaltlichen Beschreibung der acht Sitzungen sowie Folien und Arbeitsmaterialien. Da Angehörigenarbeit ein multiprofessionelles Geschehen ist, kommen im Kapitel über die Grundlagen Experten aus unterschiedlichen Berufsgruppen zu Wort. Der Ablauf der einzelnen Sitzungen ist klar strukturiert, das Manual enthält im Anhang zahlreiche Unterlagen zur Durchführung des Gruppenprogramms.

Zielgruppen sind Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Pflegepersonal, Ergotherapeuten und andere in der Psychiatrie tätige Berufsgruppen.

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Leseprobe:

Einleitung

1. Einordnung psychoedukativer Angehörigenarbeit

Die Rolle der Angehörigen bei der Behandlung schizophrener Erkrankungen hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend gewandelt: Während sie in den Fünfzigerjahren noch häufig als „Mitverursacher“ betrachtet wurden, so gelten sie heute als wichtige „Verbündete“ bei der Behandlung und Rezidivprophylaxe schizophrener Erkrankungen. In den vergangenen 20–25 Jahren wurde eine Vielzahl von Studien publiziert, welche durchgängig die rezidivprophylaktische Wirkung derjenigen Interventionen belegen, bei denen die Angehörigen in die Behandlung mit einbezogen wurden. In einer Meta- Analyse konnten Pitschel-Walz et al. (2001) zeigen, dass das Miteinbeziehen der Angehörigen schizophrener Patienten die Rezidivrate um durchschnittlich 20 % senkt.
Dieser rezidivprophylaktische Effekt ließ sich auch zwei Jahre nach Ende der psychoedukativen Interventionen noch nachweisen.
Die Beteiligung von Angehörigen bei der Behandlung schizophrener Erkrankungen wird nach dem heutigen Wissensstand als unverzichtbares Element betrachtet. Buchkremer et al. (1989) unterscheiden drei Formen, Angehörige an der Behandlung zu beteiligen:
  • Familientherapie,
  • Angehörigenarbeit,
  • Therapeutische Gruppenarbeit mit den Angehörigen.
Familientherapie kann z.B. analytisch, verhaltenstherapeutisch oder systemisch orientiert sein; zentral ist das Bearbeiten familiärer Konflikte und Problemkonstellationen, in der Regel mit der gesamten Familie. Unter Angehörigenarbeit wird eine eher sozialpsychiatrische Ausrichtung verstanden, Themen wie Bedürfnisse der Angehörigen, Ängste, Gefühle von Schuld und sozialer Isolation werden thematisiert und Hilfe zur Selbsthilfe angeboten (vgl. Dörner et al., 1997; Bertram, 1986).
Solche Gruppen werden in der Regel von „Professionellen“ geleitet und nehmen eine Mittelstellung zwischen Selbsthilfegruppen und therapeutischer Gruppenarbeit mit Angehörigen ein.
Im Rahmen psychoedukativer Therapiegruppen werden therapeutische Gruppen für Angehörige angeboten. Das Ziel der therapeutischen Gruppenarbeit mit Angehörigen schizophrener Patienten ist einerseits eine emotionale Entlastung und Unterstützung, andererseits auch eine Verbesserung des Selbsthilfepotentials und eine effizientere Rezidivprophylaxe durch Vermittlung geeigneter Informationen über die Erkrankung. Analog zu den Patientengruppen werden auch die Angehörigen über Entstehung, Verlauf, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten ausführlich informiert; ebenso über Warnsignale, die auf einen drohenden Rückfall hindeuten, sowie den Umgang mit Krisensituationen. Dieses Angebot umfasst in der Regel acht Gruppensitzungen, die Leitung liegt in den Händen von „Professionellen“.
Angehörigengruppen werden an der Psychiatrischen Universitätsklinik Homburg/Saar kontinuierlich seit 1983 angeboten. Im Rahmen der Entwicklung und Einführung der psychoedukativen „Warnsignal-Gruppen“ für schizophren/schizoaffektiv erkrankte Menschen (Behrendt, 2001a, 2001b) wurden auch die Angehörigengruppen strukturierter durchgeführt. In den Angehörigengruppen kamen neue Medien zum Einsatz, und nach dem Manual für die Durchführung von psychoedukativen Patientengruppen und einem Arbeitsbuch für Gruppenteilnehmer wurde nun das vorliegende Manual für psychoedukative Angehörigengruppen erstellt.

2. Aufbau des Manuals

2.1 Die Grundlagenkapitel
Angehörigenarbeit ist ein multiprofessionelles Geschehen, der Informationsbedarf der Angehörigen verlangt die Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern, Schwestern und Pflegern – ja eigentlich allen psychiatrisch-therapeutisch Tätigen. Wir haben daher der Beschreibung der acht Gruppensitzungen in einem Grundlagenkapitel Texte von Experten vorangestellt, um den Lesern das Einarbeiten in die Materie zu erleichtern:
Josef Bäuml beschreibt die Entwicklung der Angehörigenarbeit und beleuchtet das Verhältnis zwischen Professionellen und den Angehörigen – er liefert Argumente, warum Angehörigenarbeit zu den „vornehmsten Pflichten“ der Professionellen gehört.
Eine schizophrene Psychose trifft nicht nur den kranken Patienten, sie betrifft und belastet das gesamte Familiensystem. Zahlreiche Untersuchungen wurden inzwischen über die subjektiven und objektiven Belastungen der Angehörigen durchgeführt. Gabi Pitschel- Walz gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Belastungsforschung und über die Bewältigungsversuche der Angehörigen.
Im zweiten Teil geht sie auf mögliche Beiträge der Professionellen zur Entlastung der Angehörigen ein. Die regelmäßige Einnahme antipsychotischer Medikamente bildet nach dem heutigen Wissensstand eine unverzichtbare Grundlage der Behandlung schizophrener Psychosen. Helmut Sittinger führt in seinem Beitrag aus, welche herausragend e Rolle gerade den Angehörigen zukommt, die Betroffenen zu ermutigen und zu unterstützen, die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen einzuhalten, und weist darauf hin, welche Einflussmöglichkeiten die Angehörigen auf den weiteren Krankheitsverlauf haben.
Neben seelischen Belastungen haben Angehörige oft auch unter erheblichen finanziellen Belastungen zu leiden. In dem Beitrag von Ursula Schneider werden Hinweise gegeben, welche finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene und/oder ihre Angehörigen nach den zahlreichen Vorschriften möglich sind. Auch Hans-Jürgen Luderer befasst sich mit Rechtsvorschriften: In seinem umfangreichen Beitrag geht er auf die wichtigsten Rechtsfragen ein, die im Zusammenhang mit der Behandlung schizophren Erkrankter relevant sind: Aufklärung des Patienten, Schweigepflicht, Behandlungsvertrag, Behandlung ohne Einverständnis des Betroffenen, das Betreuungsrecht und Fahrtauglichkeit sind nur einige Themen, auf die in den Angehörigengruppen immer wieder Antworten gegeben werden müssen.

2.2 Aufbau und Struktur der Angehörigengruppen
(Beschreibung der acht Sitzungen)
(...)
1. Sitzung: Einführung
Vorstellen der Moderatoren und der Teilnehmer Erwartungen und Wünsche; Organisatorisches (Zeitplan, generelles Vorgehen, Ablauf der Gruppensitzungen etc.); das Steuerrad als Symbol; die Rolle der Angehörigen bei der Rückfallprophylaxe; wie haben sich die Angehörigen bisher über die Erkrankung informiert?
Literaturhinweise.

2. Sitzung: Krankheits- und Gesundheitsmodell
Erarbeitung des Krankheits- und Gesundheitsmodells – was können die Angehörigen zu ihrer eigenen Gesunderhaltung/Stabilität beitragen? (Eigene Bedürfnisse, Freiräume, Kraftquellen); Umgang mit Schuld- und Schamgefühlen.

3. Sitzung: Was versteht man unter einer Psychose?
Psychotische Symptome; Psychose- und Schizophreniebegriff; psychotische Symptome und normalpsychologische Phänomene, Plus- und Minussymptome, Umgang mit der Symptomatik. Unterschiedliche Psychosen, Psychose und Vererbung, Verlauf der Erkrankung, postpsychotische Depression; der langfristige Verlauf.

4. Sitzung: Informationsverarbeitung im Gehirn – Psychose als Stoffwechselstörung Informationsverarbeitung im Gehirn, Psychose als Stoffwechselstörung. Wie wirken Neuroleptika? Fragen zu Medikamenten.

5. Sitzung: Medikamentöse Behandlung
Rückfallschutz durch Neuroleptika, Nebenwirkungen von Neuroleptika, Bewältigung von Nebenwirkungen; was sind atypische Neuroleptika? Einnahmedauer von Neuroleptika, weitere Psychopharmaka; die Rolle der Angehörigen bei der Förderung der Compliance.

6. Sitzung: Was sind Warnsignale?
Was sind Warnsignale? Was versteht man unter einer Krise? Wann treten besonders häufig Krisen auf? Wie deutet sich ein Rückfall an? Exemplarisches Erarbeiten der persönlichen Warnsignale und eines Warnsignalmusters; Aufgaben der Vertrauensperson; was fördert Autonomie der Betroffenen/der Angehörigen? 7. Sitzung: Was tun, wenn Warnsignale auftreten?
Was tun, wenn Warnsignale auftreten? Was kann der behandelnde Arzt tun? Was können die Angehörigen tun? Notfall- und Krisenplan; Umgang mit Krisen; Suizidalität; Zwangseinweisung. 8. Sitzung: Stress und Stressbewältigung
Was versteht man unter Stress? Über welche persönlichen Ressourcen und Kompetenzen verfügen die Patienten? Stress vor der Psychose, Stressbewältigung: Umgang mit Minussymptomen; „Haushaltsregeln“; was gehört zu einer gesunden Lebensführung? Rechtliche Rahmenbedingungen; Besprechung offen gebliebener Fragen; weiterführende Literatur, ambulante Hilfsangebote, „Rechte“ der Angehörigen, Angehörigenvereinigungen; Rückmelderunde.

Bernd Behrendt


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