Aus unserer Reihe: Allgemeines Programm

Wollschläger, Martin (Hrsg.)

Psychotherapie und Weisheit

Ein Lesebuch

2011 , 288 Seiten

ISBN 978-3-87159-257-7

24.00 Euro

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Ist Weisheit – dieses besondere tiefe Wissen – ein wünschenswerter, unabdingbarer oder verzichtbarer Teil der psychotherapeutischen Theorie und Praxis?

Siebzehn Fachleute unterschiedlicher Provenienz spüren dieser Frage nach, versuchen herauszufinden, fassbar zu machen, zu konkretisieren. Die dabei entstandenen Ergebnisse weisen in unterschiedliche Richtungen, bergen aber auch Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen. Dennoch kann jeder Beitrag für sich bestehen.

Das Resultat ist ein aufschlussreiches Lesebuch, garantiert frei von Manualempfehlungen. Stattdessen bietet es – Anfängern wie Fortgeschrittenen und darüber hinaus allen am Thema Interessierten – eine Fülle origineller Denkanstöße für das eigene Reflektieren und therapeutische Handeln.


Über den Herausgeber

Dr. phil. Martin Wollschläger, Dipl.-Psych., studierte bis 1980 u.a. Geschichte, Pädagogik, Psychologie und Völkerkunde an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 1981 ist er in den Bereichen Psychodiagnostik, Psychotherapie und Rehabilitation tätig, seit 1985 am LWL-Klinikum in Gütersloh. 1995 Promotion an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. 1999 Approbation als Psychotherapeut.


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Rezensionen:

„Psychotherapie und Weisheit – welch reizvolles, interessantes und zugleich auch heikles Thema! Angeregt durch eine Symposiumsdiskussion der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie hat der am Klinikum Gütersloh tätige Psychologe und Psychotherapeut Martin Wollschläger als Herausgeber nicht weniger als 17 Psychologen, Psychiater, Psychoanalytiker und psychotherapeutisch tätige Philosophen, Theologen sowie Schriftsteller dazu bewegen können, sich diesem Thema zu stellen. ,Kein Fachbuch, sondern ein Lesebuch‘, so nennt er das Ergebnis dieses Unterfangens zu Recht. Der neugierige Leser stößt auf eine heterogene Vielfalt von Texten von unterschiedlichster Orientierung, Länge und auch Qualität, von haikuartigen Kurzreflexionen bis zu tiefschürfenden Abhandlungen, die alle die Frage des Stellenwerts von Weisheit in der Psychotherapie umkreisen.
Die Einleitung des Herausgebers und ein Frage-Antwort-Dialog mit dem Schriftsteller Theodor Weißenborn erleichtern den Einstieg. Nach Wollschläger ist Weisheit ,ein unübersichtliches heterogenes Konstrukt, das sich nicht normieren lässt‘, Weißenborn definiert sie als ,auf Logik und Empirie gestützte Vernunft, [...] gepaart mit genauer und umfassender Menschenkenntnis‘. Till Bastian dagegen versteht darunter ,eine ideale menschliche Grundhaltung, die auf einer allgemeinen Lebenserfahrung und auf umfassendem Verstehen und Wissen um Ursprung, Sinn und Ziel des Lebens sowie um die letzten Dinge gründet‘. Skepsis, Gelassenheit, Ehrfurcht vor dem Leben und Demut gehöre zu ihren wichtigsten Ingredienzien. Andere Autoren zählen dazu u.a. auch Empathie, Offenheit, das Akzeptieren von Leid, Angst, Schuld und Versagen, insgesamt, wie Eva Jaeggi formuliert, ,Strategien, die zu Selbstverwirklichung und sinnvoller Lebensführung führen‘. Immer wieder wird auf die zentrale Bedeutung der psychotherapeutischen Begegnung als Ort der Vermittlung von Weisheit verwiesen. Gerd Möhlenkamp unterstreicht zudem – unter Berufung sowohl auf den lächelnden Buddha wie auf das (auf Nietzsche zurückgehende) Diktum Sloterdijks ,Weise wird der maximal enttäuschte Mensch‘ – auch die emotionalen Aspekte von Weisheit. Weitere große Geister kommen da und dort zu Wort, darunter Plato, Kant, Hegel, der klassisch-chinesische Meister Zhuang, Rilke, Albert Schweizer, Jacques Lacan, Martin Buber sowie (nach Wolfgang Schulz) die vier weisesten von allen: Sokrates, Buddha, Konfuzius und Jesus.
Ob Psychotherapie den Menschen weiser zu machen vermag, wird kontrovers beurteilt. Weisheit sei nicht mitteilbar, sagt zwar Siddharta in Hermann Hesses gleichnamiger Weisheitsdichtung. Dennoch meint z.B. Martin Bürig, dass viele Menschen durch Psychotherapie abgeklärter würden, weil sie sich mit manchen Dingen zu versöhnen und gelassener über Vergangenes und Gegenwärtiges zu urteilen vermöchten. Thomas Bock dagegen wehrt den ,erschlagenden‘ Begriff der Weisheit zunächst ab, indem er die ,erschütternde und entlarvende Schlichtheit‘ mancher Alltagsdialoge in der Psychiatrie beklagt und zugleich – wie auch andere Autoren – die Verreglementierung therapeutischer Methoden namentlich in der sog. Richtlinienpsychotherapie geißelt. Dennoch stößt man immer wieder auch auf packende Beispiele von echter (und auch gegenseitiger!) Weisheit in der Psychotherapie, so insbesondere im ergreifenden jahrelangen Briefwechsel zwischen Psychiater Hans-Martin Zöllner und einem an Verfolgungswahn leidenden Patienten, oder auch im Beitrag des Theologen und Psychologen Karl-Heinz Grimm.
Bin ich nun weiser als zuvor? So mag sich manch ein Leser nach der Lektüre dieses ,Lesebuches‘ fragen. ,Nicht unbedingt‘, so wird wohl seine erste Antwort lauten – und: ,vielleicht doch ein wenig!‘ die zweite. Denn die Lektüre regt zu eigenem Weiterdenken an; die offenkundige Schwäche des Buches – seine Vielfalt und Heterogenität – ist zugleich seine Stärke: Gerade dass es keine allgemein gültige Definition von Weisheit anbietet, keine einheitliche Sicht ihres therapeutischen Stellenwerts, keine Anleitung, wie Weisheit therapeutisch zu vermitteln sei, macht seinen Reiz und Wert aus. Alles in allem deshalb: ein (nicht ganz durchgängiges) Lesevergnügen für jedermann, ob professioneller Therapeut, Patient, psychologisch Interessierter oder Weisheitssuchender anderer Art.“

Luc Ciompi, Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis 4/2012


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